Mehr Effizienz und Sicherheit in der Prozessindustrie
KI im Engineering
KI wird sich im Engineering der Prozessindustrie in den kommenden Jahren verschiedene Einsatzbereiche erschließen. Die Karlsruher Rösberg Engineering GmbH hat ein Projekt aufgesetzt, in dem einerseits eine Datenbasis und Infrastruktur für branchenspezifische KI-Lösungen entstehen und permanent weiterentwickelt werden und andererseits nach und nach verschiedene Kunden-Lösungen fürs KI-gestützte Engineering umgesetzt werden.

Sicherheit spielt in der Prozessindustrie eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund gilt die Branche als konservativ. Aber natürlich erfordert Sicherheit auch Innovationen. Eine Anlage der Prozessindustrie sicher zu betreiben ist aber nur eine Herausforderung. Der effiziente Betrieb eine weitere. In beiden und vielen weiteren Fällen kann künstliche Intelligenz (KI) Anlagenplaner und Anlagenbetreiber künftig unterstützen. Es braucht allerdings nicht nur KI-Wissen, sondern auch das passende Branchen-Know-how. Spätestens seit ChatGPT sich in der breiten Öffentlichkeit verbreitet, ist künstliche Intelligenz auch in der Industrie verstärkt im Gespräch. Industrielle Anwendungen stellen jedoch ganz andere Anforderungen als private Anwender. Um Anforderungen und Lösungsansätze zu verstehen, hilft ein Einblick in ein paar grundsätzliche Funktionsweisen von KI.
Sprachmodelle, GPTs und Co.
Die Philosophie sieht einen engen Zusammenhang zwischen Sprache und komplexem Denken. Vor diesem Hintergrund lässt sich vermutlich auch erklären, dass künstliche Intelligenz auf große Sprachmodelle (Large Language Model - LLM) setzt. Man spricht in dem Zusammenhang auch von GPTs (generative pre-trained transformer). Diese Modelle nutzen künstliche neuronale Netzwerke, die mithilfe von generativen Modellen und Transformer-Architekturen anhand großer Text-Datensätze trainiert werden. Anschließend sind die GPTs in der Lage, neue Inhalte zu erzeugen.
Open Source für Flexibilität und Sicherheit
Mittlerweile gibt es zahlreiche leistungsfähige Open Source Sprachmodelle. Sie sind für industrielle Anwendungen unter anderem deshalb interessant, weil man sie unabhängig von einem externen Service-Anbieter nutzen kann. Das macht sie nicht nur aus finanzieller Sicht attraktiv, sondern ist gerade im Zusammenhang mit sensiblen Daten ein großer Vorteil: Über den lokalen Betrieb der Modelle kann sichergestellt werden, dass solche Daten nicht das Unternehmen verlassen. Gleichzeitig lassen sich diese Sprachmodelle an individuelle Bedürfnisse anpassen, zum Beispiel die einer Branche wie der Prozessindustrie. Retrieval-Augmented Generation (RAG) ist in diesem Zusammenhang das Stichwort. Hier geht es darum, dass ein Sprachmodell auf weitere Daten außerhalb seiner ursprünglichen Wissensbasis zugreift. Das Sprachmodell wird also anwendungsspezifisch erweitert.
Wie KI ins Unternehmen einführen?
Philip Parker (Bild 1) arbeitet beim Prozessleittechnik-Experten Rösberg als Lead eines sechsköpfigen Entwicklungsteams, das über eine Projektlaufzeit von drei Jahren KI-Lösungen in die bestehenden Engineering-Softwarelösungen des Unternehmens integrieren soll. Er berichtet: „Wir wollten den Einzug generativer KI im Unternehmen proaktiv mitgestalten und dabei sicherstellen, dass die Lernkurve nicht jeder für sich allein bewältigen muss, sondern wir sie gemeinsam meistern.“ Der logische erste Schritt war daher die interne Nutzung von KI. Dazu wurden die Mitarbeiter geschult sowie Nutzungsvereinbarungen eingeführt. Seit Februar 2025 müssen Mitarbeiter, die mit KI arbeiten, nach Vorgaben des EU AI Acts geschult werden. Dann ging es darum, erste Lösungen für die interne Nutzung zu entwickeln. Hier sollten erste Erfahrungen gesammelt werden.
Datenbasis an die eigenen Bedürfnisse anpassen
Das große Ziel des gesamten Projektes ist jedoch, dass Anwender vom Know-how der Prozesstechnikexperten profitieren. Parker sagt: „Unser Vorteil ist, dass viele unsrer eigenen Mitarbeiter in verschiedenen Projekten unsere Software nutzen. Das heißt, wir bekommen sehr schnell und sehr direktes Feedback. Davon profitiert natürlich auch die Weiterentwicklung von KI-gestützten Lösungen.“ Gleichzeitig kennen die Rösberg-Mitarbeiter die Prozessleittechnik-Welt sehr gut. Das zeichnet sich bei der Anpassung der Datenbasis aus. Je besser eine Datenbasis an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst ist, desto effizienter lässt sich diese auch nutzen. Deshalb wird auf Open Source Sprachmodelle wie LLaMa von Meta AI oder die Apache-2.0-Lizenz Mistral AI gesetzt, die je nach Anwendungsfall genutzt werden. Parker erklärt: „Über RAG stellen wir den angebundenen Sprachmodellen gezielt Daten aus unserem Arbeitsalltag bereit und passen damit die Datenbasis an unseren Einsatzbereich an.“
Die passende Infrastruktur aufsetzen
Ebenso wichtig wie die Datenbasis ist aber auch die Infrastruktur. Einerseits muss die Hardware so dimensioniert sein, dass sie die Rechenprozesse in sinnvoller Zeit abarbeiten kann. Andererseits ist eine Infrastruktur gefragt, die sich lokal ausführen lässt. „In industriellen Anwendungen mit sensiblen Daten ist es zudem wichtig, dass Daten nicht in externen Clouds gespeichert werden, sondern im eigenen Haus bleiben“, ergänzt Paul Rösberg (Bild 2), Geschäftsführer der Rösberg GmbH. Er hat dem Projekt für die kommenden Jahre einen strategischen Fokus eingeräumt. Ein erstes Ziel war daher, eine Infrastruktur aufzubauen, mit der es möglich ist, KI-Funktionalität auf sichere Weise in der eigenen Software bereitzustellen. Es entstand eine lokale Lösung, die in kontrollierter Umgebung lauffähig ist. Für Entwicklungszwecke dient ein Mac Mini in maximaler Konfiguration als KI-Server.
Erste KI-Lösungen für Engineering Software
Nachdem Datenmodell und Infrastruktur standen, wurden die ersten KI-Tools intern einer Community zur Nutzung bereitgestellt. Parker berichtet: „Es zeigte sich schnell, wie wichtig das Feedback dieser Personen für die weitere Entwicklung ist. Standen die Tools erst einmal zur Verfügung, haben die Ideen nur so gesprudelt, wo man davon überall profitieren könnte.“ Das KI-Entwicklungsteam hat diese Ideen gesammelt, geclustert, bewertet und priorisiert. Im ersten Schritt wurden zwei Anwendungsprototypen realisiert: Handbücher mit Chat-Interface und erleichterte Datenauswertung und -visualisierung.
Die Handbücher waren eine „low hanging fruit“, die sich, als die generelle Umgebung einmal entwickelt war, sehr einfach integrieren ließ (Bild 3). Handbücher waren in digitaler Form in verschiedenen Sprachen für die Software-Lösungen ProDOK, LiveDOK und LiveFORMS vorhanden und konnten mit verhältnismäßig wenig Aufwand eingebunden werden. Nun können Anwender direkt aus der Software heraus über ein Chat-Interface in natürlicher Sprache Fragen zur jeweiligen Software stellen. Die KI liefert mit Hilfe der Handbücher die passende Antwort.
Die zweite Lösung verbessert die Datenvisualisierung, denn in komplexen Anwendungen der Prozessindustrie ist oft gerade die Fülle vorhandener Informationen eine große Herausforderung. Der neue Ansatz ermöglicht nun eine bessere Datenfilterung in ProDOK (Bild 4). Ebenfalls in ihrer gewohnten Sprache geben Anwender ein, nach welchen Vorgaben Informationen ausgewertet werden sollen. Die KI übersetzt diese Anfrage in passende SQL-Abfragen. Dazu musste ihr unter anderem die dahinterliegende Datenbankstruktur beigebracht werden. Wichtig ist bei dieser Anwendung, dass die KI nur lesenden Zugriff hat. Sie erstellt die SQL-Abfrage und übergibt diese dann an die Software, die das Datenbankhandling übernimmt und die Abfrage ausführt.
Anwenderbedarf ermitteln
Zwei Ideen aus der großen Sammlung, die den Prozessleittechnikexperten schon jetzt vorliegen, wurden also bereits umgesetzt. Viele weitere sollen folgen. Denkbar sind verschiedene Lösungen, die dabei helfen, interne Abläufe zu optimieren. Vor allem aber sollen Projekte realisiert werden, die Kunden einen Mehrwert bieten wie z.B. unterstützende Lösungen rund um die Funktionale Sicherheit oder Ansätze zur (teil)automatisierten PLT-Planung. Dazu möchten die Prozessleittechnik Experten in Erfahrung bringen, wo es bei ihren Kunden den größten Bedarf gibt. Deshalb ist im Laufe des Projektes auch hierfür immer wieder Zeit für Austausch geplant, zum Beispiel über entsprechende Workshops.
Es wird deutlich, schon heute können Anwendungen in der Prozessindustrie die Vorteile von KI nutzen. Gerade die Bereiche Sicherheit und Effizienz werden davon sehr profitieren. Wohin die Reise geht, ist letzten Endes neben dem Bedarf der Anwender auch abhängig davon, wie sich die Open Source Sprachmodelle weiterentwickeln. Bei aller Innovation und allen Möglichkeiten ist den Prozessleittechnikexperten aber eins wichtig: Der Mensch soll bei alledem im Mittelpunkt stehen und von KI nicht ersetzt, sondern unterstützt werden.
Firmenkasten 1: Über Rösberg Engineering
Rösberg Engineering GmbH, im Jahre 1962 in Karlsruhe gegründet, bietet mit rund 200 Mitarbeitern an sieben Standorten in Deutschland sowie in China und Indien maßgeschneiderte Automatisierungslösungen für international agierende Unternehmen der Prozessindustrie. Heute ist RÖSBERG ein international erfolgreicher Automatisierer und Entwickler von Softwarelösungen. Zum Aufgabenspektrum gehört das Basic- und Detail-Engineering für die Automatisierung von prozess- und fertigungstechnischen Anlagen sowie die Konfiguration, Lieferung und Inbetriebnahme von Prozessleitsystemen. Zudem verfügt das Unternehmen über umfangreiche Projektierungs- und Anwendererfahrung beim Einsatz sicherheitsgerichteter Steuerungen, ist Experte für Funktionale Sicherheit und bietet im Bereich der Informationstechnik branchenspezifische Softwarelösungen an. Das PLT-CAE-System ProDOK ist seit über 35 Jahren international erfolgreich. Unter dem Namen Plant Solutions begleiten ProDOK, die digitale Anlagendokumentation LiveDOK und der Plant Assist Manager (PAM) Anlagen während der gesamten Betriebszeit von Planung, Bau, Inbetriebnahme, Instandhaltung, Modernisierung und Erweiterung bis hin zur Stilllegung.